Mittwoch, 14. April 2010

33. Iteration



Interessant Heiner Müllers Verständnis der Revolution als Prozess des Zeit Anhaltens, des Verzögerns, des Aufhaltens, des Entschleunigens, wenn die allgemeine Beschleunigung, die ewige Aneinanderreihung von Hypes und radikalen epochalen Umbrüchen einer Ideologie des ständigen Wandels entsprechen, innerhalb derer nichts konstant zu sein scheint, außer dem ewigen Wandel. Der Wandel wird als solches entpuppt als eine konservative Figur des Systemerhaltens. Durch die prinzipielle anhaltend gegebene Möglichkeit des Wandels werden Mißstände auch eher in Kauf genommen. Man betrachtet die Zustände und in dem man die Prozesse der Veränderung aufhält, leistet man aktiv Widerstand gegen ein vorherrschendes System.

Die Revolution als die Ausbremsung einer Bewegung kann im Klassenkampf aber auch als reaktionär angesehen werden und entfaltet im Zusammenhang mit dem Aufstiegswillen von Migranten innerhalb von restriktiven wertkonservativen Gesellschaft zusätzlichen sozialen Sprengstoff. Setzt man sich gegen die Globalisierung und indirekt auch gegen das vorherrschende System zur Wehr zu setzen, in dem man subversiv gegen den Aufstieg von ausländisch aussehenden Mitbürgern wirkt? Obama beantwortet diese Fragen auf eine neuen Stufe des sozialen Fortschritts und dennoch haben diese Texte Müllers dennoch etwas mit mir selbst zu tun. Ich weiss nicht, wie es Euch geht... Sie handeln im Anflug des Pathetisch-Werdens von Individuen, die sich ihrer tragischen Rolle bewusst werden und als Handelnde dem Drama nicht entrinnen können. Handeln sie denn am Ende auch von Müller selbst? Wie können wir die Aktualität seiner Texte denn heute im zunehmend internationalen Kontext neu begreifen? Sie gehen meiner Meinung nach über Shakespeare hinaus und stellen völlig neue Fragen. Fragen, die sich sozialen Wesen in Zeiten des allgemeinen Umbruchs der Werte stellen. Fragen, die sich mit dem sozialen Drama von einzelnen Individuen beschäftigen und dabei das klassische Rollenverständnis der zitierten Figuren transzendieren, es augmentieren, um seine Sedimentierungen deutlich erkennbar werden zu lassen. Im Kaffeesatz zu lesen kann heute auch heissen, nach Shakespeare auch andere Dramatiker zu entdecken. In der jüngeren deutschen Vergangenheit stellt Müller meines Erachtens eine Singularität dar.

Lustigerweise sind seine Texte auch für asiatische Leser heute von Interesse. Sie transzentendieren sich gewissermaßen selbst und sind in den Momenten, in denen sie sich dicht an den sinnlichen Gefühlen der Menschen in Grenzsituationen annähern, in den Bildern, die sie zeichnen aktueller denn je. Und dies trotz allen technischen Fortschritts, der über gewisse Probleme nicht hinweg zu täuschen vermag und gleichzeitig als Refugium und Legitimation eines Systems dient und trotz allem vielfach in seinem unreflektierten Voranpreschen meist mehr Probleme schafft als er zu lösen in der Lage ist. Vielleicht wäre eine philosophisch geleitete Forschung auf dem richtigeren Wege... Sollte man allein aufgrund dieser ungeklärten Fragestellung nicht für einen Moment verharren und innehalten?



Einige Fragen beantwortet eine Arte Dokumentation, die sich mit einem Müller Zitat betitelt "Ich will nicht wissen, wer ich bin". Und dennoch welch Genie und welch bescheidene Ignoranz...