Mittwoch, 28. Oktober 2009

27. Iteration



Fragen zum derzeitigen Forschungsstand in Sachen Games sind meiner Meinung nach durchaus angebracht, vor allem, wenn darüber debattiert wird, ob man Gewalt verherrlichende Spiele verbieten sollte oder auch nicht. Vielleicht erstmal grundsätzlich: Die Tatsache, wenn man sich für diese Fragestellung generell interessiert, deutet zumindest auf vorhandene Zweifel hin, denn wenn alles klar wäre, würde sich keiner darüber den Kopf zerbrechen.

Ich denke aber, dass man bei diesen Studien meistens von gesunden Menschen ausgeht. Die sind es aber in vielen Fällen nicht, die gewalttätig werden, sondern diejenigen mit psychologischen Prädispositionen. Diese können auch physisch sein. Wie will man also mit absoluter Sicherheit Sonderfälle, die dann gewalttätig werden ausklammern. Vielleicht sollten einige der Präventiv Maßnahmen die härtesten Sonderfälle mitberücksichtigen.

Daher würde es sich lohnen, die Studienergebnisse mit denen von psychisch Behinderten und Abnormen quer zu lesen. Vielleicht sieht man dann ein, welche Gefährdung von Gewalt verherrlichendem Entertainment ausgehen könnte. Oder zumindest für diese Bevölkerungsgruppe. Doch wer die Zahlen der Psychopharmaka einnehmenden Menschen aus den Vereinigten Staaten kennt, möchte sich hierzu kein Urteil erlauben, denn nach wie vor ist das Gebiet der Psychiatrie hart umfochten, wie sich aus den Veröffentlichungen des Weltpsychiatrie Kongresses erkennen lässt:

Abstracts vom WPA 2009 in Florenz: http://www.wpanet.org/
http://www.wpanet.org/publications/publications.shtml
http://www.wpa2009florence.org/generalinfoset.htm

Dass es innerhalb der Psychiatrie Szene auch Meinungsverschiedenheiten gibt und eklatante Irrtümer, lässt sich nicht von der Hand weisen (siehe z.B.:)
http://religo.ch/2008/09/27/wpa-psychiatrie-kongress-lasst-verurteilte-psychiater-als-redner-zu/

und
http://www.comtecmed.com/copsy/2010//

Dennoch sind sich viele Wissenschaftler noch nicht einig, ob diagnostizierte Krankheitssymptome in allen Fällen physiologisch begründet werden können oder aber auch auf ein soziales Umfeld und dadurch ggf. auch darin erlaubten auf Medienkonsum zurückzuführen ist. (vgl. hierzu auch schon Alfred Lorenzer “Über den Gegenstand der Psychoanalyse oder: Sprache und Interaktion”, Surkamp, 1973, S. 50 ff.)




Die Frage also könnte auch lauten, ob angesichts einer solch unsicheren Grundlagenforschungssituation allen Jugendlichen besten Gewissens das Spielen von Gewalt verherrlichende Computer- und Videospiele zum Zeitvertreib empfohlen werden kann. Vor allem da die Dunkelziffer der undiagnostizierten psychisch auffälligen Krankheitsfälle um ein Wesentliches höher liegen dürfte, als die offiziell publizierten Zahlen einem versichern wollen, würde ich als Laie in psychiatrischen Wissensangelegenheiten eher zur Vorsicht raten.

Vielleicht wird der DGPPN Kongress 2009 im November auch zu diesen Fragen Auskunft geben:
http://www.dgppn-kongress.de/
(Hier scheint jedoch der Schwerpunkt woanders gesetzt zu werden.)

Auch die Gruppe von transkulturellen Migranten könnte in diesem Zusammenhang eine Sonderrolle einnehmen. Daher würde es sich lohnen bei eventuellen Studien auch diese Gruppe in Zukunft stärker mit zu berücksichtigen:
http://www.dgppn.de/de_transkulturelle-psychiatrie_73.html

Und auf einer anderen politischen Ebene hierzu Lösungsansätze im Bezug auf Ausbildung und Integrationsmöglichkeiten zu formulieren und gesellschaftlich wirksam zu implementieren.

“Entertainment” schreibe ich oben, denn ähnlich wie möglicherweise mit Games verhält es sich auch anderen Medien wie auch mit Filmen, in denen “gory content” dargestellt wird und durch die Darstellung Teil des Entertainment Values werden. Jedoch sollte man hierbei vielleicht mitberücksichtigen, dass man in Filmen grafische Gewalt meist viel realistischer darstellen kann. Dennoch sehe ich ein, dass in Kriegszeiten mit einem anderen Maß gemessen wird, als zu Friedenszeiten. Bisweilen wird Frieden auch nur durch kriegerische Auseinandersetzungen, die fernab der eigenen Heimat über Jahre stattfinden und fast täglich Opfer fordern, ermöglicht.

Psychiatrisches Wissen heute ist nach wie vor in vielen Punkten umstritten, eine globale Pharma Industrie nimmt an ihrem Erfolg Anteil, vielleicht auch, weil es Anomalien zu beklagen gibt. Allen Sonderfällen gerecht zu werden, wird schwierig bleiben. An welcher Stelle präventive Maßnahmen greifen sollten auch. Vielleicht sollte man in der Gewaltfrage auch Dr. Matthias Bob das Wort erteilen, der zu diesen Fragen mehr veröffentlicht hat als viele andere. Vielleicht wird er bei dem DIGAREC Kongress nächste Woche in Berlin das Wort ergreifen... Das wäre sicher wünschenswert, auch wenn in Zukunft auch technisches Wissen bei der Analyse von Games erforderlich sein wird. Hierzu könnte die DIGAREC Veranstaltung in Potsdam im deutschsprachigen Raum erste Akzente setzen. Hierzu hatte ich seiner Zeit mit meinen Zeitschriftsaktivitäten bei GAME FACE versucht, an Untersuchungen aus dem Hemholtz Zentrum, einem interdiszipliären Zusammenschluss von Fakultäten der Humboldt Universität zu Berlin, anzuknüpfen. Wenn auch dies auf allgemeinverständliche Art erfolgen sollte, wurde das Magazin kein großer Erfolg und hielt sich nur fünf Jahre am deutschen Zeitschriftenmarkt. Nach dem Verkauf des Magazins habe ich einen etwas ironisch gemeinten Artikel über Hardware Occlusion Culling in den Games Studies geschrieben, der jedoch aufgrund von wissenschaftspolitischen Tänzen marginalisiert wurde. Ich hatte ihn dann im Rahmen einer Bewerbung auch nach Potsdam an Herrn Professor Dr. Dieter Mersch geschickt, der meiner Bewerbung zum wissenschaftlichen Mitarbeiter zwar unbeantwortet ließ nun aber das Hauptthema meiner Untersuchung ironischer Weise um ein Jahr zeitversetzt nun wieder aufgegreift. Auf diese Konferenz in Potsdam bin vor allem ich besonders gespannt, da sich zeigen wird, ob sich die These von der Relevanz der Technik im vielfacettigen, sozialen Evolutionszusammenhang, den wir als Kultur beschreiben, langfristig tragbar bleibt. Denn betrachtet man bei den Filmwissenschaften Kamera Einstellungen, etc., müsste man doch logischerweise analog dazu bei Spielen auch Algorithmen und Software Generationen betrachten in ihrer Abhängigkeit von Hardware Generationen. Auf diesen grundsätzlichen Zusammenhang hatte auch schon Herr Professor Dr. Friedrich Kittler in vielen Schriften hingewiesen, die auch Herr Professor Dr. Mersch udn Dr. Stefan Güntzel kennen, die zu den Machern bei DIGAREC zählen.



Zu der Veranstaltung reisen eine Menge von namenhaften internationalen Akademikern an, so dass zu hoffen ist, dass eine rege Diskussion in Gang kommen wird, und das Konferenz-Highlight dieses Mal nicht wie letztes Mal dem Hinweis von Herrn Michael Liebe entsprechen wird, dass man in Spielen auch Schummeln kann.