Donnerstag, 12. Juni 2008

5. Iteration

Wenn Shooter zum Aggressionsabbau beitragen, dann müssten sie doch auch für Jugendliche aus extremen sozialen Verhältnissen und Mitglieder aller möglichen Randgruppen problematisch sein.

Zur Zeit ist die Gruppe derer, die Shooter zelebriert und alles mögliche Positive in ihnen findet, eine Randgruppe innerhalb der Mehrheit der Gesellschaft. Denn selbst diejenigen, die diese Spiele spielen, neigen dazu ein ambivalentes Verhältnis zu ihnen zu haben.
Ich würde die Ansicht vertreten, dass die meisten Menschen in Europa Kriege verabscheuen und alles daran setzen, um Kriege zu verhindern.

Ob es im Interesse letzterer Menschen ist, dass wir immer mehr Shooter Spiele haben und die Altersgrenzen, die den Zugang zu solchen Spielen ermöglichen, immer weiter herabsetzen, ist sicher eine Frage, die sich klar mit NEIN beantworten lässt.

Zu sehr sind einem die verheerenden Bilder aus dem Irak und Afghanistan, aus dem Gaza Streifen und anderen kriegerischen Regionen der Welt in Erinnerung. Aber wir spielen. Amerikaner würden an dieser Stelle sicher fragen, ob es reicht, sich an Spielen anzureagieren, oder ob man nicht physisch selbst in den Krieg müsse, für Volk, Ehre und Vaterland. Wir in Europa aber sagen: JA, es reicht, sich an Spielen abzureagieren, und wir wollen, um ganz ehrlich zu sein, nicht mal diese Spiele von Euch haben. Denn wir lieben den Frieden.

Die Frage ist, ob mit den 911 Vorfällen auch die europäische Zivilisation angegriffen wurde. Aufgrund der bisher ausbleibenden Terrorwellen in Europa muss man diese Frage zur Stunde noch klar mit NEIN beantworten.
Vielleicht ist das Ausbleiben solcher Anschläge auch und vor allem den amerikanisch-britischen Auslandeinsätzen zu verdanken. Dies vermag ich aber nicht zu beurteilen, da man nicht weiss, was passiert wäre, wenn es keinen Krieg keine Retaliation gegeben hätte. Klar ist, dass die Amis sich dann nicht mehr so macho mäßig gefühlt hätten. Klar ist aber auch, dass zu dem Zeitpunkt, an dem es auch hier in Europa an jeder Ecke knallt, mit Sicherheit mehr Kids Shooter Spiele spielen werden, auch um ihre Werte zu verteidigen, sich abzureagieren und sich zu trainieren. Aber würde eine solche virtuelle Mobilisierung dann auch reichen? In Tagen, in denen sich anch Baudrillard vieles ins Symbolische verlagert hat vielleicht. Möglicherweise reicht es ja sogar, die Gedanken der Menschen zu militarisieren. Der heilige Krieg wird, wenn man einen Muslim fragt auch eher symbolisch ausgefochten. Wenn es sein muss aber auch mit Taten.

Seien wir doch daher froh, dass wir uns in den zur Zeit vorherrschenden Friedenstagen mit Kriegen weit vor unseren Grenzen, am kriegerischen Computerspielen erfreuen, entertainen und “abreagieren” können und dürfen. Obwohl das ja als solches schon relativ perfide wirkt. Aber so ist es nun mal in unseren Tagen. Man schwelgt im (high res geshadertem, partikel-) Pixelblut und hat eine kathartische Eingebung nach der anderen. Orgasmusgleich ist man der Herr am Set. Dominanz im Chaos. Ein Überblick. Die ultimative Kontrolle im Widerspiel im den anderen. Gruppenkoordination. Am Ende wird diese Welt noch durch lauter Spielen ein viel schönerer Ort werden, da die ganzen Agro-Freaks zocken und sich abreagieren. Aber solch ein Gesellschaftsportrait hängt zugegebener weise auch irgendwie schief.

Also fassen wir zusammen: Shooterspieler wollen die Welt nicht verbessern. Sie wollen sich wie so viele andere, die Lindenstrasse schauen, entertainen, schaffen es aber dies auf einem Computer zu tun, den sie erstmal richtig konfigurieren müssen, um zum Beispiel Crysis zum laufen zu kriegen. Sie denken, die Kriege in der Welt und all der Hunger, AIDS, Süßwasserknappheit, Drogenkriege, organisierte Kriminalität, Geldwäsche und die ganzen direkt und indirekt damit zusammenhängenden sozialen Probleme können sie ohnehin nicht bewältigen. Darum ist Entertainment der einzige Ausweg. Wer von sozialem Engagement spricht, spricht nicht zwangsläufig von Fire-Bomb-Frags und Weapons of mass destruction. (Am Ende hat Machiavelli Recht behalten. In einer Welt der Bösen kann der Gute nicht überleben).

Wer sich also cool entertainen will, greift zu Shooter. Ballert ein paar Leute ab und macht erfolgreich weiter im täglichen Lebenskampf. Und religiöse Werte wie Nächstenliebe und Erbarmen sind in Shooterspielen meisten nicht vorgesehen (außer vielleicht in Bioshock). Denn in Shooterspielen kann man zwar auch schleichen, aber wer wirklich Action mag, der ballert alles nieder, was sich bewegt und fragt Fragen später.

Vielleicht sollte man es auch gesetzlich verbieten, sich negativ gegen Games und vor allem gegen Shooter zu äußern. Dann wären einige von uns sicher froh, wenn diejenigen, die innerhalb unserer demokratischen Gesellschaftsordnung etwas gegen Shooter sagen, sofort an die Wand gestellt werden würden. Um ganz ehrlich zu sein, bin ich froh, dass es nicht so ist und dass wir diese Debatten führen dürfen. Dazu gehört es auch, dass man die Argumente der Gegenseite kommen lässt, denn indirekt geben sie einem oftmals ohnehin Recht. Vor allem, da sich diese Geschichten im Zeitalter der Globalisierung abspielen und vor einem wirtschaftlichem Hintergrund.

Ich sehe Shooter Games auch nicht generell als unproblematisch an. Ich denke nur, dass man vielleicht mehr daran hätte als Mensch, die Werte des friedlichen Zusammenlebens für sich zu entdecken. Aber möglicherweise ist dies ein Diskurs, der sich gerade erst daraus ergibt, dass das friedliche Zusammenleben immer nach dem Gesetz des Stärkeren fragt, dem man vor allem durch Waffengewalt Einhalt gebieten kann und wenn man ohnmächtig genug ist, dann trifft man sich immer mit Freunden, hat keine Freundin und ballert stundenlang. Tag aus Tag ein. Nur ob sich dadurch etwas an der allgemeinen Misere ändert oder ob diese überhaupt als eine solche empfunden wird, ist eine andere Frage.

Ich persönlich habe mit GAME FACE, der Games Zeitschrift, die damals als erstes Prof. Pfeiffer interviewt hatte, den Ansatz öffentlich vertreten, dass man im digitalen Zeitalter nur sehr schwierig Spiele verbieten kann. Man könne etwas Kreatives dagegen setzen. Dies waren nach meiner damaligen Auffassung Games Entwicklung und neue Entertainment Konzepte in Europa, die jenseits der Technologie Förderung stattfinden können. Als ich dann aber, als das Förderprogramm noch neu war, selbst ein Game Projekt beim Berliner-Brandenburger Medienboard eingereicht habe, wurde es abgelehnt, obwohl die Firma Crytek auch einen LOI unterschrieben hatte, dass die dieses Charity Fussballspiel (African Soccer Player), das als Sportsadventure in einem Afrika Settingin Kooperation mit United for Africa angedacht war, technologisch auf den neusten Stand gebracht hätte. Es hieß, man habe etwas gegen den besten Produzenten von Spielen in der Welt und wolle diesen nicht nach Berlin holen, da er Shooter Spiele produziere.

Anhand dieses Beispiels sieht man die Doppelzüngigkeit vieler Institutionen bestätigt. Auch das Argument, dass wir in Kreuzberg eine Menge Arbeitsplätze hätten schaffen können, wurde abgeschmettert. Der Antrag abgelehnt, die Initiative begraben. Die potentiell durch solch ein Projekt angeschobene Integrationsoffensive im Keim erstickt.

Dennoch gibt es Hoffnung, dass sich so etwas eines Tages ändern wird. Man darf nicht vergessen, dass bei Crytek, die Besten der Besten arbeiten. Eine Reihe von denen sind türkischer Abstammung. Also was soll hier das polemisieren gegen ausländische Außenseiter? Sind nicht eher viele deutsche Gamesproduzenten auf den internationalen Markt Außenseiter, während es Crytek gelungen ist, Deutschland international auf die Landkarte der Gamesentwicklung zu positionieren?

Die virtuellen Erfahrungen dessen, was als Männlichkeitswahn auch pathologisierbar wird, wenn von “Männlichkeitsrolle” die Sprache ist, geben nicht den ambivalenten Charakter dieser Art von Lebenseinstellung wieder, wenn man ihr in der Realität begegnet.

Aber Konzepte der Demütigung werden neben Konzepten der Ehre und Ritterlichkeit diese Tage überdauern. Warum? Weil dies einfach nur menschlich ist. Wer den Menschen abgewöhnen will, ein gewisses Quantum an Stolz zu empfinden, wird schon ultra rationale faschistoide Methoden anwenden müssen, um sie zu brechen. Ich denke, dass es sehr wenig Sinn macht, darauf herum zu reiten. Aber für einige Menschen ist alles, was sie haben, ihr Mut und ihre Taten und damit auch ihre Worte. Vielleicht können solche Werte auch durch Spiele vermittelt werden.

Also nochmal: Begriffe wie Ehr-Gefühlaufbau innerhalb einer liberalen Gesellschaft für Mittel- und Chancenlose, Ritterlichkeit, Barmherzigkeit und Demütigungsventile könnten die Diskussion um Shooter und ihre Wirkung neben Begriffen wie Männlichkeit, Integration und Ehrenmord beleben.