Dienstag, 15. Juli 2008

7. Iteration

Heutzutage hat doch jeder ein oder mehrere dieser Online Profile. Xing, Linkedin, Mein VZ, Studi VZ, Plaxo, Facebook, Myspace, Reunion, Naymz, Twitter und Cyworld etc. Profiling ist das Stichwort. Connections sind gefragt. Networking regiert die Welt. Die Angst von einst vor dem durchsichtbaren Bürger, die Angst vor Big Brother und auch die Angst vorm digitalen Überwachungsstaat ist längst zum Massenvergnügen mutiert. Die Angst von heute artikuliert sich in den Sondereinstellungen von User Menus. Unter Private Settings oder Datenschutz finden User alles, was sie brauchen. Sie können bestimmen, welche Teile ihres Profils öffentlich sichbar sind. Aber meistens nicht, ob sie überhaupt sichtbar sind. Denn darin besteht schließlich auch das Businessmodel dieser Websites. Jeder mit jedem. Zumindest theoretisch. Ein interaktives Stell-Dich-Ein. Ein quasi weltumspannendes Netzwerk. Ein Kontaktgarten Eden, das Hippie Ideolgien der siebziger in der Köpfen der Menschen wachruft oder bzw. auch für immer vergessen macht. "Cause we all live in the yellow submarine." Ich bin Nutzer, also bin ich. Aktivismus wird zur Userfrequenz. Aber auch Karteileichen beleben so manch eine Plattform. Das fällt jedoch in vielen Fällen nicht weiter auf, solange es genügend andere Nutzer gibt, die die Services weiternutzen. Denn was zählt, ist Interaktion. Einige Profile bei der Service Plattform neu.de werden auch nur simuliert und lassen den Verdacht aufkommen, dass sie von bezahlten Mitarbeiten einzelner Firmen betrieben werden. Einige andere Web-Profile werden von Bots gesteuert. Am Ende aber steht immer eine digitale User Interaktion. Und ihr Resultat ist eine s.g. digitale Social Experience. Oder aber auch eine emphathische Verarmung derselben. Ganz wie man es sieht. Ich klicke also habe ich Friends und Connections. Moment, aber nur so lange diese einen auch "adden" oder "approven".
Naja, wer kennt es nicht. Profiles sind überall. Allgegenwärtig, so wie damals Orwells Big Brother. Und was damals im Big Brother House noch für Aufregung und eine zunehmende Orwell Verulkung bei RTL daher kam, ist heute längst Standard einer ganzen Generation. Fotos auf jedem Profil. Digicams hat doch wohl jeder und Computer auch. Das gehört heute einfach dazu. Konsum ist alles. Ich klicke also konsumiere ich.
Aufälle gab es bisher nicht. Es sei denn bei Usern, die nachweislich über die Strenge schlagen, was meistens nur Computer gesteuerten Bots oder bei Promotern von irgendwelchen schlüpfrigen Web-Services wie Porno Websites oder Viagra Online Versandportalen vorkommt.
In der Welt der Profile aber werden sie schnell erkannt. Denn findige Web-Admins und ebenso findige Web-Programm-Routinen bombardieren Nutzer mit Sicherheitsabfragen, so als würde dadurch das Sicherheitslevel eine Seite irgendwie ansteigen. Die maschinelle Nutzung der Websites wird durch solche Software Interventionen jedoch erschwert. Und dadurch macht sich eine Clean Cuisine Mentalität breit. Datensicherheit PGP etc. Die Angst von gestern ist der Euphorie von heute gewichen. Zumindest empfinden das die meisten so. War against Terror hier und Profilomania dort. Die allgemeine Kontakteuphorie übertönt die Terrorattentate. Sicherheitsabfragen vermitteln einem das Bild, sich in einem Umfeld von Datensicherheit und political correntness zu bewegen. Dabei virtualisieren sich die Freundschaften. Der Austausch von Chat-Lines und virtuellen Items ersetzt den Austausch von Briefen und Postkarten. Wer heute hip ist versendet kleine Flash-Mini-Games. Bald schon mit stellenweise customisierbarem Content, der situationsspezifisch den Friend in seiner eigenen Befangenheit philosophisch reflektiert. Denn Grenzen gibt es überall. Aber auch Chancen, etwas zu erkennen. Der Diskurs über diese Kritisierbarkeit des Virtuellen, dieser geworfenen Abbildhaftigkeit des Realen erschließt sich auch im Internet im Frequenzspektrum seiner sinnlichen Wahrnehmbarkeit.
Die Kontaktfreude verdeckt und kompensiert in vielen Fällen die wahre Kontaktarmut und wird dabei zur reinen Sucht. Die eigene digitalen Ego Prothese pulsiert dabei im Metrum der kollektiv vernetzten Profile. Und dennoch hat das ganze einen Touch von Romantik. Denn viele Blogs bei Blogger oder Myspace verweisen auf reale Wesen. Sie lesen sich bisweilen wie ein Tagebuch. Und reflektieren sich selbst in Zeilen, die zumeist keinen interessieren. Sie reduzieren jedes Leben jeden Vorgang auf eine Reihe von Seancen alternierender Quintessenzen. Die Summe dieser Quintessenzen ist in der Regel etwas anderes als diese Erfahrung, diese reale Erfahrung in der Welt, aus Worte stammen wie diese:

Beispielsweise mein Plaxo Pulse:

"On Apr 21, 2008
Peter C. Krell is meditating on a hill in Seoul, Korea

May 1, 2008
Peter C. Krell is in Seoul writing an EU report

May 21, 2008
Peter C. Krell is preparing the next EU tour

Jul 8, 2008
Peter C. Krell is organizing the PEOGA event in Berlin for the 10th of July

Jul 11, 2008
Peter C. Krell is organizing the PEOGA foundation event for the GC in Leipzig

Ich schreibe auf, was ich tue, also veröffentliche ich mich. Date mich up. Up grade mich. Ich schreibe aber nie solche Sätze wie "today felt like a day in concentration camp." Bewusst nie. Geht auch gar nicht. Und in vielen Fällen stimmt es auch nicht.

Der Holocaust ist nach wie vor in seiner Totalität für die Werbewelt unattraktiv geblieben. Der Tabu-Bruch ist nur in einigen Regionen koscher. Auch wenn abstrakte Größen wie Tausender Kontaktpreise und Reichweiten Fetischismen wie Medienwelt bestimmen, denen Qualitätscontent zunehmend egal wird, da Quantitäten mehr Aussagekraft besitzen als Qualitäten, wenn es um Kontakte geht. Auch in der annonymen Masse bleiben User Teil einer digitalen Nutzer Gemeinschaft. Diese wollen Werber, die sich in einigen Fällen als die einzigen vom System legitimierten und daher lebenden Künstler von heute verstehen, formen. Sie aber haben den Holocaust vergessen. Sie ignorieren ihn einfach. Er beschreibt ein Tabu. Man darf ihn nicht erwähnen auch nicht als Ausländer. Nicht als Deutscher ausländischem Aussehens. "Guck, so sehen Deutsche aus, ja, so sehen Sieger aus." Wenn ich an die EM oder auch an die WM denke, wird mir heute noch ganz schlecht. Viele interessiert es gar nicht, wo überall gekämpft wird. Hauptsache sie haben eine Deutschlandflagge im Profil. Ist das das Resultat einer Werbekampange. Haben wir es geschafft, den Holocaust effektiv zu verdrängen?
Werber bestimmen unseren Alltag. Die unbewussten Momente des Konsums. Wir werden von ihnen beinflusst. Auch in unserem virtuellen Interagieren. Denn jedes Profile trägt gleichzeitig Anzeichen von Konsum, Rationalisierung und Werbeclip-Ästhetik. Aber mich erinnern sie immer auch ein bisschen an den Holocaust.
Mit solchen kritischen Zeilen wie diesen wird man keine Millionen User erreichen. Auch wenn ich eine Message habe. Doch davon handeln meine Rückzugsgefechte in die Profile gar nicht. Und auch wenn dieser Blog dazu verdammt ist, das ewige Vorwort zu bleiben, drücken sich in ihnen Anzeichen meines Wesen ab. Man produziert den Übermenschen. Allerorts. Die ideale Profil Identität erobert die Welt. Die Ego-Profilisationen wuchern. Bisweilen erschließen sich einem Endwicklungen auch vom Ende her. Ich möchte sie nicht aufhalten, die Profilomania, aber sie auch nicht gedankenlos zelebrieren. Doch nicht jeder, der heute ein Profil hat, denkt durch seine Postings, für eine Gemeinschaft zu handeln. Am Puls der Zeit.