Samstag, 12. April 2008

1. Iteration

Einige werden mich vielleicht schon kennen. Ich habe bis vor kurzem die Chefredaktion beim GAME FACE Magazin innegehabt und GAME FACE zunächst in dem von mir Ende 2002 gegründeten suct Verlag in Eigenregie herausgeben, bevor ich dann 2007 mit einer Partnerfirma die Ping Publishing GmbH gegründet habe, dort knapp ein Jahr CEO war und dann nach und nach die Rechte an GAME FACE in diese GmbH eingebracht habe, aus der ich mich dann erfolgreich zurückgezogen habe.
GAME FACE war für mich ein Full-Time Job, den ich für fünf Jahre bei äußerst spartanischer Bezahlung auf mich genommen habe. Mich trieb der Wunsch an, die deutsche Sprache zu retten und gleichzeitig für meine Dissertation ("Games, die Zukunft der Präsentationstechnologien, dynamische Gruppenkollaborationstools und die Emergenz der Augmentationsmatrix. Eine Ideengeschichte im Reflex ihrer soziologischen, ökonomischen und technologischen Vorzeichen") zu recherchieren. Mein Anspruch war es, meine Recherche Ergebnisse soweit es mir möglich war, mit anderen Menschen zu teilen und dem Vorurteil zu begegnen, dass Wissenschaft immer ein Rückspiegelsicht auf die Ereignisse der Gegenwart habe. Und tatsächlich, mit GAME FACE sass ich für mehr als fünf Jahre in der ersten Reihe. Dies brachte mir nicht nur Lob ein. Aber ich habe mich bemüht, sowohl in gestaltungstechnischer wie auch formaler Hinsicht einiges dazu zu lernen und den Bedürfnissen meiner LeserInnen zu entsprechen.
Mir war aber auch klar, dass die GAME FACE Ausgaben, die ich mit einem kleinen Team von internationalen MitarbeiterInnen produzierte, eines Tages wie heute die "Lichtbildbühne" oder der "Kinematograph", jene legendären frühen deutschen Film-Zeitschriften der Zehner und Zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts, Dokumente einer zukünftigen Mediengeschichtsschreibung sein würden. Von diesem Pathos getragen sind einige meiner Vorworte auch aufgeschriebene Erinnerungen für Menschen, die in einer Zeit nach uns leben werden, die bald kommen wird und die sich dann in ihrer Zeit erinnern wollen, wie es das damals gewesen ist, bevor die Technologie Entwicklung uns vor allem Vergessen machte, dass es einmal eine Zeit gegeben hat, in der es sie noch nicht gegeben hat, unsere Kommunikationstechnologie. Menschen werden sich fragen: Was für Menschen haben sich damals für technische Medien interessiert? Wer hat sie bestimmt? Was haben diese Menschen gemacht? Wie haben sie sich im Bezug auf Technologie Entwicklungen verhalten? Was für Träume haben sie gehabt? Welche Ziele haben sie verfolgt? etc. Man erkennt leicht, dass bei meinen Betrachtungen ähnlich wie im neueren Medienverständnis der Schule der französischen Mediologie der Mensch und sein Umfeld im Vordergrund stehen.

Aber welch Vermessenheit: wie konnte ich glauben, die deutsche Sprache zu retten? Oder warum wollte ich sie retten? Ich denke, dass Kinder, die im Umgang mit ihrer Sprache geschult werden, aktivere Sprachkenntnisse entwickeln. Vor allem in der gesprochenen Sprache. Daher hielt ich es für notwendig, Computerspiele Inhalte auch auf Deutsch anzubieten und zwar nicht nur in Form von lokalisiertem amerikanischem und japnischem Content sondern auch in Form von in Deutschland entwickelten Inhalten, damit die im Spiel vermittelten Sprachkenntnisse auch einen Bezug zur Kultur haben, in der wir in Deutschland leben. Meine Auffassung, die dann auch Malte Behrmanns Auffassung und die Auffassung des GAME Verbandes wurde, war, dass man im Internet Zeitalter Gewaltspiele Entertainment nicht verbieten kann. Man kann höchstens etwas Kreatives, kulturell Konstruktives dem US-Idiologie-Trächtigen entgegensetzen (Mit diesem Wahlspruch war ich Ende 2002 auf die Bühne getreten und hatte fortan versucht, Mitstreiter für diesen Ansatz zu finden. Inzwischen teilt auch der Deutsche Kulturrat diese Auffassung). Wissenschaftlich konservativ gedacht vertrete ich den Ansatz, dass die deutsche Sprache eine wunderbares Sprachsystem ist, das es aus wissenschaftshistorischer Sicht zu erhalten gilt. Die Felxibilität der Sprache ist einmalig. Sicher habe ich damit auch herum gespielt, in dem ich ins Magazin bewußte und unbewußte polysemische syntaktische Fehler eingebaut habe. Da sich das Magazin ohnehin immer zwischen Kultur, Technologie und Kunst bewegt hat, ist einigen vielleicht nicht aufgefallen, dass ich zur Zeit meines Studiums an der Humboldt Universität zu Berlin eine Künstlergruppe mit dem Namen "?Syntax Error" ins Leben gerufen hatte, die vermutete, dass ein System erst durch seine Fehlerhaftigkeiten interessant werde. Eines meiner großen philosophischen Vorbilder ist kein anderer als Jacques Derrida, den ich immer interviewen wollte, der aber leider gestorben ist, bevor ich dies vermochte. Seine aus einem Rechtschreibfehler herausgeborende Philosophie spricht die Sprache unserer heutigen Technologie Entwicklung. An einer Stelle schreibt er, dass seine philosophische Schule der Dekonstruktion ohne die Erfindung der Computer nie möglich geworden wäre. Der Fehler im System ist also auch die Chance für das ganze System, sich weiterzuentwickeln oder zu verändern. Das weiss auch jeder Hacker. Und GAME FACE war gewissermaßen ein System Hack. Denn heute scheint es nicht nur völlig normal zu sein, dass man allerorts auch öffentlich über Games debattiert. Sondern man kann bisweilen sogar Fernsehsendungen und Youtube Feeds sehen, die sich diesem Thema widmen. Das ist nicht immer so gewesen, wenn wir fünf Jahre zurückblicken.

Ich denke, dass wir nach Derrida in einem Zeitalter der "Re-Rekonstruktion" leben, einem Zeitalter der Erfindung neuer Komplexitätsmanagement Tools. Und in der Hoffnung, in Games derartige Schlüssel-Technologien für zukünftiges Komplexitätsmanagement finden zu können, habe ich mir fünf Jahre lang so ziemlich alles angesehen, was es im Bereich Virtual Worlds, On- und Offline Games so gab und gibt. Zur Zeit sind die Casual Games und die Online Games im Kommen, auch in Mobile Games haben viele Menschen ihre Hoffnungen gelegt. Wer weiss, was als nächstes kommen wird.
Ich denke, sicher ist, dass es eine Zukunft von Power Point geben wird, und es ist möglich, dass sie auf Games Engines aufgebaut sein wird. Dies und die Erfindung neuer Ordnungsmetaphern, die sich ein für alle mal von der vorherrschenden Desktop Metapher verabschieden, werden die Entwicklungen sein, an denen ich mich beteiligen möchte. Ich hoffe, dass meine zukünftige Forschungstätigkeit, die, wie GAME FACE es war, gleichzeitig immer politisch ist, dazu beitragen wird, dass diese Visionen bald schon Realität werden werden.

Zur Zeit arbeite ich für ein koreanische Regierungsagentur an einem EU Report. Denn von irgendetwas muss man auch leben. Wer aber gerne Informationen zum Thema Online Games oder Virtual Worlds sucht, kann sich gerne an mich wenden. Ich werde zeigen, dass diese Brücke, die ich zwischen Asien und Europa gebaut habe auch in beide Richtungen beschritten werden kann.

In nächster Zukunft werde ich an einem Berliner Institut an meiner Doktorarbeit schreiben und hoffentlich innerhalb der nächsten zwei-drei Jahre beenden. In der Zwischenzeit bleibe ich Ihnen als Autor erhalten. Im suct Verlag sind für die nächste Zeit eine Reihe von Buchveröffentlichungen geplant. Die suct Website wird bald schon zeigen, dass man Forschung und Kommerz verbinden kann und dass im leicht eingestaubten Verlagswesen auch völlig neue Wege beschritten werden können.

Es bleibt spannend.

Mit freundlichen Grüßen,
Peter C. Krell