Donnerstag, 2. April 2009

21. Iteration




Hier ein essayistischer Entwurf:
In dem Moment, in dem der alter Eurozentrismus nach diesem historischen G20 Gipfel zu Grabe getragen wird, strukturiert sich auch die Games Industrie neu. Zumindest der Vision nach.

Dies zu glauben, fällt nicht allen leicht. Denn allen Anschein nach erschüttern wohlmöglich die großen Neuigkeiten der diesjährigen GDC die einzelnen Akteure erst im Nachhinein. Die E3 wird endlich Klarheit bringen. Worum geht's? Stichworte sind: OnLive, Gaikai, Dave Perry und Acclaim.

Näheres dazu:

http://www.gamesindustry.biz/articles/perry-throws-down-gauntlet-to-onlive





http://www.gamesindustry.biz/articles/head-in-the-cloud


Und während hierzulande alle auf s.g. Killerspiele starren, die in Kriegszeiten vor allem aus Amerika nach Europa herüberschwappen oder deren Produktion von amerikanischen Firmen finanziert wird. In Deutschland blickt jedoch kaum einer nach Vorne. Außer vielleicht Cevat Yerli in seinem Interview mit gamesindustry.biz, laut dessen Äußerungen auch die Firma Crytek an ähnlichen Konzepten arbeitet.
Viele Menschen aber, vor allem konservative Politiker, denken heute noch, dass alles so bleiben könne, wie es ist oder einmal war. Solche Menschen sind auch der Meinung, dass sich im digitalen Zeitalter Entertainment Inhalte noch verbieten lassen. Dies ist jedoch ein Trugschluss und genau dies markiert die s.g. digitale Kluft (Digital Divide), dessen Existenz in enger Kopplung mit der rigorose Skrupellosigkeit einzelner Akteure auch das System der unregulierten Weltfinanzmärkte beendet hat. Dergestalt haben Intransparenz, Ohnmacht, Angst, mangelnde Komplexitätsmanagement Tools, fehlendes Verständnis für digital implizierte Problemstellungen und eine fehlende Ethik vor allem in Finanzsektor unter anderem dazu geführt, dass wir heute ein vorläufiges historisches Ende eines Finanzsystems konstatieren konnten, dessen Beendung mit der Ankündigung einer neuen digitalen Entertainment Industrie Infrastruktur einhergeht.

Schön wäre, wenn Institutionen wie die GEMA in gleichen Zuge damit beginnen würden endlich Pan-Europäische Lösungen anzubieten, um sich neue Wachstums- Perspektiven zu eröffnen und auch aufstrebenden Industrien im Infrastrukturell bedingten Konvergenz Prozess nicht unnötige Steine in den Weg zu legen. Was jedoch in Holland schon längst erkannt wird, trifft hierzulande noch auf kein Verständnis. Wie so oft sind viele von uns inklusive unserer Politiker noch nicht in der heutigen Zeit angekommen. Entsprechend kommt es zu Datenpannen und Regulierungslücken. Regulierungslücken, die stellenweise so eklatant sind, dass man sogar von einer Systemkrise sprechen kann. Fehlende oder mangelnde Regulation begünstigen Krisensituationen. Fehlende Verantwortung und persönliche Bereicherungssucht tun ein Übriges, um Krisen nachhaltig zu gestalten.

Was aber haben gigantische Datenzentren, die sich dem Entertainment widmen und interaktiv manipulierbare HD Video Streams gegen Gebühr auf Konsumenten Flachbildschirm senden, mit Politik oder mit einer Revolution der Games Industrie bei einem sich angesichts der neuen Online Infrastruktur einher gehenden Bedeutungsgewinn von Online-PCs als Entertainment Steuerzentralen vernetzter Haushalte zu tun? Und was hat die GEMA mit unserem Thema gemeinsam?

Auf dem ersten Blick nicht. In den Meta Ebenen schon. Zunächst werden Datenzentren massive Investitionen im IT Entertainment Sektor begünstigen. Und sie werden unsere Konsumgewohnheiten komplett umkrempeln, sollten sie Realität werden. Dabei kommt dies alles nicht unerwartet. Die neue Emergenz des Mainframe Konzeptes war aber schon seit geraumer Zeit antizipierbar. (Dazu gab es bereits vor 2-3 Jahren im GAME FACE Magazin eine Reihe von Interviews.) Jedoch gab es für solche Entwicklungen kaum eine Öffentlichkeit. Diese fragmentarisiert sich aber immer stärker bei zunehmender Ausdifferenzierung der Entertainment Angebote. Zusätzlich ist unser Bildungssystem noch vom bildungsbürgerlichen Ideal bestimmt und insgesamt stellenweise ein wenig veraltet. Unser demokratisches System ist an das Bildungssystem gekoppelt, das mündige Bürger hervorbringen soll. Jedoch ist immer wieder festzustellen, dass es bei vielen an Fachwissen mangelt um mitzudiskutieren und zum anderen auch an der Sprachfähigkeit. In gewissen Fällen werden auch politische Tänze aufgeführt, die stellenweise ihre Legitimation im Populismus erkennen.

Und plötzlich geht die Emergenz einer neuen Weltfinanzarchitektur zusammen mit der Emergenz eines neuen Mainframe Konzepts im Zusammenhang mit Entertainment Technologien. Die Finanzkrise war im diplomatischen Umfeld schon vor Jahren sichtbar. Kritiker wie der erfolgreiche Börsenspekulant George Soros (The Bubble of American Supremacy), dessen Beitrag ich für den Weltbankbericht 2001 veröffentlichen durfte, und Wissenschaftler wie Prof. Joseph Weizenbaum haben darüber geschrieben (Insel der Vernunft). Über die Dringlichkeit einer Reform der Weltfinanzarchitektur habe ich schon 2002 in dem von mir für die DSE (Deutsche Stifung für Entwicklungszusammenarbeit) kompilierten Summary Report anlässlich der Weltfinanzarchitekturplanungstagung in Mexico (2002) bereits bereits berichten dürfen. Die Intellektuellen waren schon damals informiert, aber machtlos und wie üblich zum Schweigen verurteilt. Die Dummen waren am Drücker. Sie haben versucht, sich maßlos zu bereichern und sind letztendlich gescheitert. In wie fern dies auch für die Games Industrie analog gelten könnte, wird die Fähigkeit der großen Entertainment Player zeigen, sich mit dem Aufschwung des Online Sektors und werbefinanzierter Free-to-Play Konzepte zu identifizieren und entsprechend damit harmonisierte Konzepte zu realisieren.

Während das Medium Fernsehen schon heute zum Stream konvergiert worden ist und bei Zattoo die ersten Games Werbungen laufen, hinkt die Werbe Industrie großenteils noch ein immer hinterher. Denn die Entscheider sind in fast allen großen Firmen häufig alte Knacker, die von Innovation nichts hören wollen und die vom Internet erst jetzt beginnen, eine gewisse Vorstellung zu entwickeln. Aufgrund solcher Vorgaben ist auch der ziemlich konservativ geführte Verbotsdiskurs im Zusammenhang mit Games zum einen historisch erklärbar und zum anderen vielleicht sogar einfach nur menschlich, in dem er versucht, auf katastrophale Mutationen unserer demokratischen Idee zu verweisen und die Ursache dafür im vermeintlich Monströsen suchen. Und wer stellt schon gerne die Ratio über sein eigenes Wohlbefinden. Das waren in der Antike höchstens Diogenes und vielleicht auch Sokrates. Beide sind tragisch geendet. Aufopferung und selbstlose Hingabe sind aber auch Ideale im Humanismus. In wie fern aber die Werte des Humanismus während und in den Weltkriegen begraben wurden, bleibt eine Frage, die vom modernen Entertainment beantwortet wird. Man ist verwohnt, feiert gern, lebt in der Gegenwart und denkt am Liebsten positiv und sucht dennoch einen Kanal für seine revolutionären, ggf. auch zerstörerischen Triebe, seinen Hang zum Aufruhr und zur absoluten Kontrolle. Gleichzeitig beflügeln Spiele zur kontrollierbaren Technologie Faszination (denn kein Spiel macht Spass, das man nicht beherrscht).
Im Wettbewerb aber mit dem internationalen Ausland hinken wir hierzulande angesichts einer wohlstandsverwöhnten Innovationslustlosigkeit deutlich hinterher. Wenn man sich überlegt, wie schnell China in den letzten Jahren zur drittgrößten Weltökonomie gewachsen sind und wie schnell aus Dritte Weltsländern erst Schwellenländer, dann Tigerstaaten und nun asiatische weltwirtschaftliche Schwingmächte geworden sind, erkennt man vielleicht auch, wohin einen eine gewisse Ideologie von Solidarität und vor allem Hunger bringen kann. (Vielleicht begünstigen sie beide sogar Zeilen wie diese.) 1 Mrd. Dollar wurden im letzten Jahr jeweils in einzelne Game Industrie Standorte in Asien von den lokalen Regierungen investiert. Games sind ein strategisches Ziel in der chinesischen, singapurianischen und koreanischen Politik und auch an vielen anderen Standorten werden ähnliche Förderprogramme entwickelt. Diese beinhalten auch expansives Engagement. Dies kann man von Europa nicht behaupten. Förderdebatten werden klein geredet und von Verbotsdiskursen konterkarrikiert. In Europa versucht man anstelle die Games Industrie zu fördern und neue Arbeitsplätze in einem äußerst konvergenten Bereich zu schaffen, Games zu verbieten. Und die Gründe scheinen vielfältiger Natur zu sein.

Nun gut, andere Länder andere Sitten und auch andere kulturpolitische Strategien und hoffentlich auch Ziele. Als Kulturwissenschaft weiß man, Kultur beginnt mit Kulturtechnik. Wie damals beim Ackerbau.
Bald schon wird man sehen, ob und wie die beim G20 Gipfel beschlossenen neuen internationalen Konzepte auf dem politischen Acker greifen werden und wie diese Hand in Hand gehen mit einer zusätzlichen allgemeinen Rezentralisierung der Entertainment Angebote. Diese würde im Übrigen in Zukunft auch Verbote und Zensurbestrebungen erheblich erleichtern würden, wenn sie erstmal im Markt eingeführt wären. Es sei denn man hält parallel am Konzept der Dezentralität fest.

Enorme Summen werden im Spiel sein müssen, um diesen Infrastruktur Wandel in der Finanzwelt und in der Entertainment Welt zu bewirken. Man wird sehen, ob es nicht am Ende vielleicht sogar die derzeit führenden Firmen sein werden, die versuchen werden, diesen Wandel mit zu dominieren. Mit Acclaim jedenfalls wäre eine klassische Publisher Firma wegweisend an diesem Wandel beteiligt. Dieser Wandel bietet aber auch neuen Playern Chancen. Genau diese Chance aber birgt wie bei jedem Medienumbruch für einige etablierte Player auch eine gewisse Gefahr. Wer wird denn das Rennen machen in der Rezentralisierten Welt?

Auch wenn eine Kritik an einer Rezentralisierung vielleicht generell angebracht wäre, geht die Renzentralisierung der Entertainment Industrie doch einher mit einer Rezentralisierung der Weltfinanzarchitektur. In wie fern bei Zentralisierungen auch immer ein Stückchen Freiheit auf der Strecke bleiben wird, ist eine andere Frage. Eine Frage jedoch, die sicher nicht die Mehrheit von uns betrifft. Und wir leben in einer Demokratie. Zum Glück. Daher kann die Mehrheit auch dafür stimmen, den Höhenflug von unmenschlichen Managern, die in einigen Fällen rücksichtslos bestimmte Visionen verfolgen, beenden.

Dave Perry unternimmt zusammen mit seinen Widersachern nun den Versuch, die ganze Industrie komplett umzukrempeln. Wiedermal. Und während BWL Absolventen und MBAs gucken, was sie mit Bänkern gemeinsam haben, und Juristen damit beginnen s.g. "totes Recht" wiederbeleben, fragt man sich unter anderem vielleicht auch, was Rezentralisierungen indirekt auch mit neuen Sozialisierungsprozessen in der Welt zu tun haben. Denn die Welt hat sich heute sozialisiert. Es wird zukünftig mit dem IMF eine zentrale Überwachungsinstanz der Finanzwelt geben. Dies ist das Ergebnis dieser G20 Gipfels. Gewinnmaximierung tritt hinter soziale Unverträglichkeit zurück. Steueroasen werden abgebaut. Bankengeheimnisse fallen.
Und kann Schwarzgeld in Online Games gewaschen werden, wenn Steueroasen austrocknen? Ernähren sich Online-Spieler gut genug? Werden sie mehr spielen, wenn diese neue Entertainment Infrastruktur einmal greift?

Mit David Perry ist der Macher des Matrix Games nun federführend in der Debatte zum Strukturwandel innerhalb der Games Industrie, federführend neben OnLive und Gaikai. Und die Tatsache, dass es mehrere Akteure sind, die sich um eine ähnliche Idee kümmern, . Dies ereignet sich nun vor dem Hintergrund eines Gipfels, der für unsere Welt und auch für unsere Kulturen wegweisend bleiben wird.

Ob aber auf zentralisierten Servern der von Nietzsche erfundene Geist der Musik erneut ein Drama gebären wird, steht auf einem anderen Blatt geschrieben. Die solidarisch gefassten Beschlüsse der G20 Staaten von heute entsprechen unserer föderalen demokratischen Kultur. Möglicherweise ist durch diese politische Grundsteinlegung einer neuen Weltfinanzarchitektur auch einem neuen medienaugmentativen Kommunikationssystem nach der Power Point der Weg geebnet worden. Ob es zu diesem Zeitpunkt dann cool sein wird, dem Asiazentrismus kritisch zu begegnen, ist eine Frage von intellektueller Ermessung.