Dienstag, 13. Mai 2008

4. Iteration

Die Philosophie der Spiele bringt ihre eigenen Regeln hervor oder versucht sich zu vergewissern, ob die ihr zugrunde liegenden Regeln überhaupt andere sind, als diejenigen, die auch für das System der Philosophie gelten. Dabei stellt sich natürlich auch aus philosophischer Sicht die Frage, ob und in wie fern die digitalen Spiele irgendwelche Eigenschaften haben, die Huizinga in seinem viel zitierten Spielewerk noch nicht beschrieben hat. Dabei könnte es doch sein, dass es einiges an neuen technisch ontologisch spielerischen Entitäten gibt, die sich der bisherigen philosophischen Beschreibungen von Spielen entziehen.
Sicher, Bezüge zu anderen Diskursen gibt es zahlreiche und auch wenn jeder der Vortragenden meinte, dass er kein Philosoph sei, sondern irgendetwas anderes, wurde dieser Disclaimer von einem einzigen Redner nicht wiederholt und dieser wußte auch wovon er sprach. Michael Liebes Lecture Performance am letzten Tag der Konferenz in Potsdam ließ mich zunächst stutzen. Vielleicht auch, da die Sache mit GAME FACE noch relativ frisch ist. Aber im zweiten Rekurs finde ich seinen Beitrag nahezu genial, wenn auch etwas ausgefallen. Nun ja, es als Philosophie zu bezeichnen, während seiner Vortrags ein Kartenspiel auf die Erde zu werfen und zu behaupten, dies können das Solitaire von Microsoft nicht, ist sicher eines. Daraus zu schlussfolgern, dass Computerspiele generell weniger können als die Realität, ist sicher falsch. Aber darum muss man doch nicht gleich seinen Computer auch aus dem Fenster schmeissen. Dennoch hat diese Performance gezeigt, dass es nicht nur darauf ankommt, was man sagt, sondern auch wie. Der magische Kreis oder Magic Circle, konstiutiert sich dadurch, dass er kontinuierlich ausgrenzt, um selbst konstituiert zu sein. Seinem Wesen nach ist er die Grenze. Bzw. gibt er die Grenze vor. Er beschreibt eine Demarkationslinie, die zu überwinden gleichbedeutend ist mit dem Ende oder dem Anfang des Spiels. Gewissermaßen beinhaltet die Ankunft im Zirkel auch immer einen Austritt aus einem anderen System Kontext in einen neuen. Ein Verlassen einen Aufbruch hin zu einem neuen Kreis. Das Verlassen der Cycle ist nahezu unmöglich und dennoch konstituiert sich die einschließende Kontingenz aus dem ausgrenzendem Gestus der Verneinung, dem Überwinden des Gesagten, dem Aufbruch hin zu etwas, das das System überwindet, bzw. um neue Spielarten bereichert und genau darin liegt der Betrug bzw. der folgenschwere Bruch, die Brisur, der Riss, der Systemhack.
Dennoch ist man sich einig, das System hat keinen Schaden genommen. Die Karten wurden sogar aufgehoben. Leicht beschämte Blicke ausgetauscht. An der scheinbaren Schmach können wir nur Wachsen. Der symbolisch vollzogene Bruch eröffnet neue imaginäre Freiräume. Der Cheat ist perfekt.
So scheint es zumindest für den Moment. Ob die Aristotelische Peripethie einsetzt und auf welcher Seite bleibt völlig unklar. Sicher ist nur, dass etwas stattgefunden hat, dessen Bedeutungsindex seiner Langzeitwirkung nach kaum ergründbar scheint und in der Leichtigkeit des Moments vielleicht wirklich dem System, das sich ebenso als einen Kreis, der möglicherweise magisch ist, einen Spiegel vor Augen hält oder aber in diesem Gestus verharrend über sich hinauswächst. Die Verneinung des magischen Kreises des Spielfelds kann somit in zwei Richtungen wirken und dadurch gleichzeitig das System um neue Nuancen erweitern. Zu diesem Repertoire der Neuerungen gehört die Tatsache, dass man sich in der Realität immer betrügen kann, im Computerspiel aber nicht, wenn es das System nicht vorsieht. Daraus erschließt sich die besondere Qualität der Realität deren Systemirregularität mit dieser Performance direkt adressiert wurde und im Unbequemen etwas aufzeigte, was als das Unbewusste in der Diskussion fungieren kann, aber auch als das Unästhetische in der Wahrnehmung.
Die Frage nach den Entscheidungen, die ein Designer trifft, um sich zu artikulieren, können nach Derrida genauso gut auch außerhalb des Systems getroffen werden, wodurch das System an sich keinen Schaden nimmt, auch wenn es augenscheinlich im Duktus der Verneinung seine Grenze kontinuierlich redefinieren muss und am Einbeziehen das Unbequemen bei aller Aversion wächst oder darin seine eigene Unüberwindbarkeit gefühlsmäßig für den Moment erfährt. Angesichts einer solchen sicher auch unbequemen Performance des Notwendigen artikuliert sich eine tiefere notwendige Wahrheit, die gleichzeitig einen Willen zum Neuanfang beinhaltet, dessen systemische Notwendigkeit vom Sprecher im verharrenden Gestus des Sprechenden innerhalb einer Struktur angedeutet und nicht beendet wird, denn er ist bereit jederzeit zu gehen und aufzuhören zu reden und darin gebirt sich das Fatum der Idee dieses gedanklichen Kamikaze Aktes. Darin liegt die höhere Kunst der Wertschätzung dieses performativen Aktes der Stärke und der proklamierten Unabhängigkeit.
Mit hochkarätigen internationalen Gästen wie Jesper Juul und Ian Bogost, Richard Bartle und Gordon Calleja sowie einem guten dutzend hoffnungsvoller Kadidaten, die eines Tages dem Ruf dieser derzeitig stark gehypten Schreiber folgen könnten, war dieses Event mehr als ergiebig, da die Anwesenden sich die Zeit nahmen, das Referierte zu kommentieren und dadurch den Vortragenden neue Perspektiven zu vermitteln zu sich und zu ihrem Stoff. Die charakterliche Entwicklung jedes Vortragenden orientiert sich auch am Feedback der Fragenden. Denn dadurch befinden wir uns immer im Bereich der Zeichen und auch im Bereich des Symbolischen. Ich erachte es für wichtig, dass wir mit dieser Praxis fortfahren und in der Betrachtung der Sicherheitslücken im Systems nicht vergessen, die Erhaltung des Systems sicherzustellen, in dem sich nicht nur die Versuche eingeschreiben haben, es zu verändern, sondern auch diejenigen, die im Namen der Liebe formuliert worden sind und dadurch ihre existenzielle Schwere gleich mit in sich tragen. In jedem Wort. In jeder Geste. Angesichts solch eines Settings. Ein Gewinn.
Daher schätze ich mich mehr als glücklich, an solch einem Event teilgenommen zu haben, welches Zeichen der Veränderung und auch der Erkenntnis in sich trägt. Im Boungie Gestus der Versuch, das System zu retten. Und wie man hoffen kann, dann nicht nur seine eigene Haut.
Im Reflex dieser Worte blicke ich mich um in Schweden. Eine Nacht ist angebrochen. Eine Telefon Konferenz mit den anderen Herausgebern des Buches ergab, dass meine Feedbacks zu den Texten unseres neuen Buchs vielleicht zu spät kommen, und dass man Fehler bereit ist, in Kauf zu nehmen, da der Ruf als Herausgeber gefährdet sei, wenn man die AutorInnen jetzt so spät noch auf ihre Fehler aufmerksam macht. Aber meiner Meinung nach sollte schon darauf geachtet werden, dass man keinen Crap veröffentlicht wie irgendwelche misratene Diskursanalysen, die in ihrer Fehlerhaftigkeit und ihrer Mangelhaftigkeit einem wie auch immer geartetem Forschungsstand entsprechen. Dennoch befindet sich das Buch auf dem Weg. Und wenn das Buch dann da ist, will es dann keiner gewesen sein. See I am real. Ich werde daher Warnungen an all diejenigen versenden, deren Texte leicht zu erkennen sich entweder falsch sind oder die aufgrund mangelnder Kenntnis irgendwelche Fehler eingebaut haben. Natürlich in der Hoffnung, dass sie diese Korrekturen annehmen und im Duktus meiner Korrekturen dann als die Helden gelten, die sich nie geirrt haben und immer richtig lagen und die entsprechend dann diese Forschungsfelder besetzen. Daher kann man sich aufgrund solcher moralischer Fragen bisweilen schon vorkommen wie in einer Zwickmühle. Im Endeffekt gibt es auch hier einen Flow. Ich werde mich entsprechend dieses Flows versuchen zu verhalten. Der Rest ist dann sicher irgendwann Mediengeschichte.