Freitag, 1. Mai 2009

22. Iteration



Anschließend an einen Diskussion, die während der Deutschen Gamestage in Berlin stattfand, möchte ich eine Reihe von Bemerkungen machen, die die Frage nach der Kulturwerdung von Computerspielen behandeln. Dazu sei zunächst auf eine Webressource von Onlinewelten.com hingewiesen:

Video Beitrag bei den deutschen Gamestagen zum Thema Jugendschutz

In Crysis muss man zu Beginn Nordkoreaner abballern. Spielemechanisch kann man bei diesem Spiel zwar auch bis zu einem gewissen Grad im Stelth Modus erfolgreich sein, aber es ist zu vermuten, dass das Gros der Spieler nach dem Motto "Blow up stuff" sein Ziel erreicht.
Nordkoreaner finden das vielleicht nicht so lustig und jeder der asiatisch aussieht, kann sich zumindest stellenweise auch in die Position der Nordkoreaner hineinversetzen und dadurch angegriffen fühlen. Zwar kommt es im Spiel dann später zu einer Allianz zwischen Amerikanern und Nordkoreanern gegen die Aliens aber erstens spielen nicht alle Spieler das Spiel durch und zweitens ist es immer problematisch Menschengruppen in ihrer undifferenzierten Gesamtheit in Computerspielen zu reinen Kanonenfutter oder gesichtslosen austauschbaren Gegner ohne Gefühle und ohne schützenswürdigen menschlichen Wert zu degradieren und dann gleichzeitig auch von Kultur zu sprechen.

Zwar kennen wir Heldenepen aus der Antike, die Nibelungen Sage neben den Geschichten von den Drei Königreichen aus China, in denen es von Gewalt eine zentrale Rolle, aber müssen wir in einer doch relativ aufgeklärten Zeit nach der Gründung der Vereinten Nationen und nach der Ratifizierung von Abrüstungsverträgen und nach einem Obama, der eine Nuklearwaffenfreie Weltordnung öffentlich antizipiert, diese an und für sich archaischen Urbilder der Gewalt heute noch so hinnehmen? Kann man nicht etwas konstruktivere Anwendungen für diese Arten von Technologien finden? Muss sich denn jeder Spielemacher indirekt am War against Terror beteiligen? Ich denke: Nein. Man kann sich nicht hinstellen und sagen: "Prima, Gewalt ist doch etwas völlig Wertfreies. Bloß keine Zensur, lass die nur machen, bringt ja auch alles enorm viel Geld ein der Kram." Sondern man wird in die Verantwortung gerufen, so fern man sich dazu berufen sieht, auch die humanitären Kulturwerte unserer Vergangenheit innerhalb der angeregten Diskussionen im Kulturwerdungsprozess von Games ebenso zum Tragen zu bringen wie es gleichermaßen gelten sollte, technologische Entwicklungen auch in Deutschland als solches nicht im Keim zu ersticken sondern insgesamt eher zu fördern als zu verbieten. Wenn es nur lukrativ ist, Gewaltspiele zu produzieren, muss dies auch einer gewissen Interessenlage entsprechen. In wie fern tragen auch die Medien und auch unsere Bildungssysteme vor allem im Hinblick auf ihre didaktischen Mittel daran eine Mitverantwortung?
Die Entwicklung von Inhalten befindet sich hier also vor allem dann im Zentrum, wenn Millionen von Spielern Gewaltspiele spielen und dies stark in Medien durch Riesenmarketing Budgets umworben tun. Worin steckt also die Krise? Zum einen will man die Spieler fesseln. Dies läuft auch über herkömmliche Suchtmechanismen, die sich inszenieren lassen. Wie das geht, kann man in jedem guten Game Design Buch nachlesen zumindest der Theorie nach. Und zu anderen will man entertainen, denn im Endeffekt will man Geld verdienen. Zusätzlich kommt jetzt also auch die Forderung, das Ganze solle auch noch möglichst gehaltvoll in Szene gesetzt werden, wo man doch gerade erst die Technologie Hürden einigermaßen gut überwunden hat. Dies sind enorme Aufgaben, die auch zu enormen Spannungspotentialen führen.
Wenn Millionen von Spiele-Käufern weltweit nicht bemängeln, dass man bei Crysis anfänglich Koreaner töten kann und vielleicht auch muss, um das Spielziel zu erreichen, dann kann man das nicht gerade als kulturellen Wert zelebrieren. Aber man kann und muss die Engine loben, die diese Spektakel auf Rechnern zum Vorschein bringt. Und das genau ist der kulturelle Widerspruch. Vielleicht verbirgt sich auch hier die Kritik. Meistens wählt man den Weg der Verkürzung. Denn man ist geneigt, bei aller technologischer Komplexität, die immer größerer Teams bedarf, alles ökonomisch zu argumentieren und auch zu rechtfertigen. Auch in Fragen, bei denen es eigentlich um verfassungsmäßig gesicherte Grundwerte der Gesellschaft geht. Wie aber stellen wir uns heute zur Gewaltfrage? In wie fern reflektiert mediale Gewalt reale Gewalt? In wie fern ist alles nur Fiktion und dadurch belanglos? Und in wie fern hat die verstärkte, uneingeschränkte Darstellung von Gewalt in anderen Medien - medienhistorisch betrachtet - auch zur Emergenz der Gewaltspielen geführt?

Und wieso werden Gewaltspiele von so vielen Menschen konsumiert? Deutet dies vielleicht alles auf eine allgemeine gesellschaftliche Krise hin? Eine gesellschaftliche Krise, deren Symptom unter anderem das verantwortungslose Verhalten von Bänkern und Börsenakteuren war? Zeichnet sich eine Verrohung der Gesellschaft ab? Oder ist das einfach nur ein Durchgangsstadium innerhalb einer medialen Evolution, die ihre fundamentalen gesellschaftlichen Veränderungen mit oder auch ohne politisches Verständnis macht und dadurch die Politik vor Fakten stellt?

Vielleicht liegt darin auch die tiefe Kulturkritik von Cevat Yerli verborgen, indirekt einen Systemhack durch ein Spiel in unserer Welt der kulturellen Gegensätze einzuschleusen. Liegt also darin eine kulturelle Errungenschaft, die im Sinne eines Kulturguts schützens- und förderungswert ist? Artikuliert sich diese Kritik sowohl in technologischer Hinsicht wie auch in kultureller Hinsicht, da sie beinhaltet, dass unsere Gesellschaft als Gesellschaft, die vom gewissenhaften Verantwortung eines Holocausts geprägt ist und sich heute rühmen kann, eine Integrationspolitik zu verfolgen und Minoritäten bewusst nicht auszugrenzen sondern zu versuchen, die Integration zu fördern, wo es nur geht? Liegt darin nicht ein gewisses Moment einer Reflektion verborgen? Handelt es sich bei Crysis um eine Kulturkritik, die vor allem mit technischen Mitteln erhoben wird von ursprünglichen Außenseitern, eine Kulturkritik vielleicht an dem, was eine Deutsche Leitkultur vorgibt, eine Kulturkritik von Urhebern, die sich zwischen Islam und Christentum wie auch anderen Religionen und Religionslosigkeit verorten lassen? Die Spiele sind im Fokus. Wenn man also auch in Zeiten einer Weltfinanzkrise die Frage stellt, worin die Krise vielleicht noch alles bestehe, dann können wir sie ihrer technischen Ebene vermuten wie auch in ihrem Metatext finden.-

Dies sind sicher komplexe Fragen, deren Beantwortung nicht so einfach fallen dürfte. Vielleicht lohnt sich es sich daher bei Soziologen und Philosophen Rat zu holen. Da die Firma Crytek ihren Hauptsitz in Frankfurt unterhält, kann man vielleicht einen ehemaligen Wahlfrankfurter zu Rat beten, dem die Aufgabe zufiel, quantitativ unüberschaubar viel zum Thema Kulturkritik zu schreiben und zu veröffentlichen. In seinen Aufzeichnungen zu Kafka exemplifiziert er seine Kulturkritik, die sich nach seiner Lesart in Kafkas Gesamtwerk mitteilt und deren Grundkonstanten seines Begriffs der Ohnmacht illustrieren helfen. In dem Zusammenhang kommt er auch auf die Gewalt zu sprechen (aus seinen Aufzeichnungen zu Kafka, T.W. Adorno, Kulturkritik und Gesellschaft, Suhrkamp1977, S. 272-273):

"Ungezügelte Gewalt wird ausgeübt von Gestalten der Subalternität, Typen wie Unteroffizieren, Kapitulanten und Portiers. Das sind allemal Deklassierte, die im Sturz vom organisierten Kollektiv aufgefangen une überleben dürfen [...]. Wie im Zeitalter des defekten Kapitalismus wird die Last der Schuld von der Produktionssphäre abgewälzt auf Agenten der Zirkulation oder solche, die Dienste besorgen, auf Reisende, Bankangestellte, Kellner. Arbeitslose - im Schloß- und Emigranten - in Amerika- werden wie Fossilien der Deklassierung präpariert."

Adorno erkennt also in der von Kafka virtualisiert in Textform kommunizierten Darstellungen von Gewalt als eine eher unerstrebenswerte von Deklassierten ausgeübte Aktivitäten, die ihre vielfältigen Ursachen haben, die zum Großteil aber verborgen bleiben und kaschiert werden.
Denn die komplexen Zusammenhänge der vielseitigen Verflechtungen von Warenproduzenten, Waren Vertrieb, Handel sowie dem Zwischenhandel führen im Endeffekt bei Kafka zur Abschaffung derselben. Die alles koordinierende anonyme Obrigkeit ist Handlungsinstanz im Handlungszwang. Sie dominiert alles. In ihrem Handeln und in ihrem Streben nach Monopolität nimmt sie die seelische Vereinsamung der Massen strukturell in Kauf und beschleunigt sie in einigen Fällen sogar. Dabei geht nach Adornos Lesart einerseits innerhalb der Gleichschaltungsprozesse die Individualität des Einzelnen und andererseits auch die Verantwortung eines jeden insgesamt an rein mechanisch regulierten vertraglich ratifizierte und damit regelte Fertigungsprozesse verloren, die allesamt fern vom Konsumenten stattfinden und deren Urheber unerkennbar im Hintergrund agieren.

"[...] Das geschichtliche Verdikt ergeht von der vermummten Herrschaft. So bildet es sich dem Mythos ein, der blinden, endlos sich reproduzierenden Gewalt.[...] Risse und Deformationen der Moderne sind ihm [Kafka] Spuren der Steinzeit, die Kreidefiguren auf der Schultafel von gestern, die keiner wegwischte, die wahre Höhlenzeichnung. Die abenteuerliche Verkürzung, in der solche Rückbildungen erscheinen, trifft aber zugleich die gesellschaftliche Tendenz.Mit der Übersetzung in Archetypen endet der Bürger. Die Preisgabe seiner individuellen Züge, die Aufdeckung des wimmelnden Grauens unter dem Stein der Kultur markiert den Verfall von Individuen selber. Das Grauen jedoch ist, dass der Bürger keinen Nachfolger fand; `niemand hat´s getan´. [...] So ist es dem Bürgertum mißlungen. Zur Hölle wird bei Kafka die Geschichte, weil das Rettende versäumt ward. Diese Hölle hat das späte Bürgertum selber eröffnet. In den Konzentrationslagern des Faschismus wurde die Demarkationslinie zwischen Leben und Tod getilgt. Sie schufen einen Zwischenzustand, lebende Skelette und Verwesende, Opfer, denen der Selbstmord mißrät, das Gelächter Satans über die Hoffnung auf Abschaffung des Todes. Wie in Kafkas verkehrten Epen ging da zugrunde, woran Erfahrung ihr Maß hat, das aus sich heraus zu Ende gelebte Leben. [...]."

Dennoch kann man die Diskussion von Computerspielen nicht unweigerlich mit Kafka und Adornos Rezension seiner Texte gleichsetzen. Wären Politiker der Weimarer Republik aber damals früher auf kritische Stimmen wie Kafka aufmerksam geworden, dann hätte man den Tod von Millionen von Menschen vielleicht verhindern können. Heute sterben Millionen von Spielern und noch mehr virtuelle Avatare tagtäglich den virtuellen Tod. Zusätzlich findet man auch in Videotheken und im Fernsehen und im Kino überall Mord und Totschlag. Möglicherweise gibt es ja einen Killerinstinkt und vielleicht zelebrieren einige von uns im Zusammenhang mit Spielen bei der Triebbefriedigung archaische Bedürfnisse, die besser virtuell bleiben sollten. Ich denke, es geht zu weit, dass heute jeden Tag weltweit mehr Avatare ihr Leben lassen als damals im Holocaust gestorben sind. Aber wenn es so wäre, sollten wir uns dann nicht auch darüber Gedanken machen? Aber vielleicht sind wir ja alle der Verantwortung entbunden. Dann wären diese Zeilen möglicherweise ebenso bedeutsam wie hinfällig.- Denn es würde mich nicht wundern, wenn heute die mediale Gewalt nur von den ganz Edelen - den Besten der Besten sozusagen - unter uns inszeniert und begangen wird.